1a) In seiner Studie Der taumelnde Kontinent diagnostiziert der Historiker Philipp Blom im 20. Jahrhundert eine „destabilisierte Männlichkeit“. Bloms Diagnose lässt sich bestimmt auch auf den Anfang des 21. Jahrhunderts erweitern. Vergleichen Sie die männliche Genderunsicherheit in dem Gedicht „Grodek“ von Georg Trakl mit dem Roman Der falsche Inder von Abbas Khider. Benennen Sie in den beiden Texten die jeweils zwei wichtigsten Eigenschaften dieser Unsicherheit, beschreiben Sie den jeweils wichtigsten Versuch, sie zu überwinden, und verbinden Sie Ihre Befunde mit den historischen Kontexten, auf die sich die Texte beziehen.
1b) Viele literarische Texte verbinden eine imaginative Auseinandersetzung mit den großen Lebensfragen von Menschen mit einer versteckten, indirekten oder offen dargelegten politischen Kritik. Wie benutzen Friedrich Dürrenmatt in dem Theaterstück Der Besuch der alten Dame und Sarah Kirsch in ihrem Gedicht „Die Luft riecht schon nach Schnee“ der Spielraum der von ihnen verwendeten literarischen Gattung, um die gesellschaftliche und ideologische Tendenzen in dem verteilten Europa zu kritisieren? Beschreiben Sie die zwei wichtigsten (textinternen) Merkmale ihrer Kritiken, vergleichen Sie die Merkmale bei Dürrenmatt mit denen bei Kirsch, und verbinden Sie die Resultate des Vergleichs mit den Gattungen, in denen beiden Autoren ihre Entscheidungskraft gestalten.
2) ANALYSEFRAGEN
2c) In Franz Kafkas Erzählung In der Strafkolonie begegnen wir folgendem Dialog:
„Er war ungemein ermattet, atmete mit weit offenem Mund und hatte zwei zarte Damentaschentücher hinter den Uniformkragen gezwängt. »Diese Uniformen sind doch für die Tropen zu schwer«, sagte der Reisende, statt sich, wie es der Offizier erwartet hatte, nach dem Apparat zu erkundigen. »Gewiss«, sagte der Offizier und wusch sich die von Öl und Fett beschmutzten Hände in einem bereitstehenden Wasserkübel, »aber sie bedeuten die Heimat; wir wollen nicht die Heimat verlieren.- «
Analysieren Sie gründlich drei Aspekte dieses Fragments, und erklären Sie die Bedeutung des Fragments für die Gesamtinterpretation der Erzählung.
2d) In Zoë Jennys Roman Das Blütenstaubzimmer lesen wir folgende Stelle:
„Nico, ein blauer Schnuller, der vom vielen Daraufherumkauen schon ganz abgewetzt war, saß auf dem rechten, Florian, ein gelber Schnuller, auf dem linken Fuß meines Vaters. In jeder Hand einen Schnuller, hüpfte ich über die Bettdecke, überquerte Täler, Berge und Seen zwischen den Stoffalten und landete schließlich auf dem Kopf meines Vaters, einem Labyrinth aus dunklen Haaren. Wir müssen nie mehr hinausgehen, sagte ich zu ihm, wir haben alles hier, die Sonne und die Berge, die Seen und die Täler. Ich ging in die Küche und in mein Zimmer und zog auch dort die Vorhänge zu.“
Analysieren Sie gründlich drei Aspekte dieses Fragments, und erklären Sie die Bedeutung des Fragments für die Gesamtinterpretation des Romans.
3) SYNTHESEFRAGEN
3e) „Und so erzähle ich mir mein Leben“: mit diesen Worten fängt Nietzsche seine Autobiographie Ecce Homo an und spricht damit eine typische romantische Poetik aus. Wir haben aber auch Texte gelesen, in denen eine anti-romantische Poetik an die Oberfläche kommt. In welchem von Ihnen noch nicht besprochenen Werk zeigt sich exemplarisch eine romantische oder anti-romantische Poetik? Erläutern Sie Ihre Auswahl mit einem Textbeispiel, und erklären Sie, welchen Einfluss die jeweilige Poetik auf den fiktionalen Charakter des jeweiligen Textes hat.
3f) Eine Literaturgeschichte mag zwar einen wissenschaftlichen Anspruch haben, sie ist jedoch immer eine Zeuge der Zeit, in der sie geschrieben wird. Situieren Sie knapp das Gedicht „Daphne“ von Else Lasker-Schüler literaturhistorisch und illustrieren Sie dabei, wie darin unser Verständnis unserer eigenen Zeit und unserer eigenen Vergangenheit zum Ausdruck gelangt.
3g) In vielen literarischen Texten trägt Intertextualität aktiv oder gar entscheidend zu der Gesamtdeutung des Werkes bei. Aber was ist der Effekt der Intermedialität – des Wechselspiels zwischen mehrere Medien – in Rilkes Gedicht „der Turm“? Interpretieren Sie eine intermediale Anspielung im Gedicht als Bestandteil der zentralen Problematik der Metamorphose.
3h) Vergleichen Sie kurz die Darstellung eines privaten Raumes in Thomas Manns Der Wille zum Glück mit der Inszenierung eines Gesprächs, das auf einem öffentlichen Platz stattfindet. Überprüfen Sie, ob die Intimität, von der im ersten Fall die Rede ist, sich grundsätzlich unterscheidet von der affektiven Atmosphäre im zweiten Fall. Wie erklären Sie Ihren Befund?